Titel
Das 13. Jahrhundert. Einführung in die Geschichte des spätmittelalterlichen Europas


Autor(en)
Signori, Gabriela
Erschienen
Stuttgart 2007: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
202 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Gramsch, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Giotto und der Naumburger Meister, Friedrich II. und Alfons der Weise, Franziskus und Elisabeth, Eike von Repkow und Raimund von Peñaforte, Wilhelm von Rubruk und Heinrich von Lettland – das 13. Jahrhundert hat viele Gesichter. Dieses faszinierende Jahrhundert zwischen die zwei Buchdeckel einer Einführungsdarstellung zu pressen, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Wie fasst man einen so gewaltigen, vielgestaltigen Stoff an, wie kann man ihn einem breiteren Lesepublikum nicht nur schmackhaft, sondern auch, wenigstens in den großen Zügen, verständlich machen?

Gabriela Signori, Professorin für mittelalterliche Geschichte in Konstanz, erweist ihrem genius loci, sprich, Arno Borsts "Lebensformen", die Reverenz, wenn sie in ihrem hier vorzustellenden Buch die Quellen sprechen lässt. Diese sind durchaus mit Geschick ausgewählt, wobei sieben thematische Kapitel dem Stoff einen festen Rahmen geben: (geographische) Grenzen der (mittelalterlichen) Welt, Kirche, Bildung und Erziehung, Europas Mächte, Rechtskodifikationen, Stadt und Land, Literatur und Kunst. Wenn hierbei die politische Geschichte etwas zu kurz kommt, wird dies durch die in den Kapitelüberschriften schon angedeutete Weite des kulturgeschichtlichen Horizonts vollauf ausgeglichen, denn schließlich hat das 13. Jahrhundert auf all diesen Feldern viel zu bieten.

Kann man mit der Konzeption von Signoris Buch durchaus zufrieden sein und auch gerade die von ihr beschworene Studentenfreundlichkeit einer bei der konkreten Quelle und nicht bei einer abstrakten Forschungsdiskussion ansetzenden Darstellung loben, so vermag das Werk jedoch in der Durchführung an vielen Stellen weniger zu überzeugen.

Da sind zum einen zahlreiche ärgerliche und bisweilen haarsträubende Fehler, die einem Studienbuch, dem sich gerade auch weithin unwissende Leser anvertrauen wollen, sehr schlecht anstehen. Und das meint nicht nur Flüchtigkeiten in der Rechtschreibung ("Rückgrad", S. 35; "blutsverwand" S. 51; usw.) und auch nicht merkwürdige Wortkombinationen wie das "liturgische Kreuzzugsfieber" (S. 39), sondern Falschaussagen, die den Anspruch der Wissensvermittlung regelrecht pervertieren. Wenn Signori die Paradiesströme im Paradies "zusammenfließen" lässt (S. 13), stellt sie die Bibelfestigkeit des Lesers auf eine harte Probe (1. Buch Mose 2,10). Landgraf Ludwig IV. von Thüringen darf erst noch das Heilige Grab besuchen, ehe er 1227 "auf der Rückreise aus dem Heiligen Land" stirbt (S. 75) – tatsächlich führte sein Tod zum Abbruch des gerade erst beginnenden kaiserlichen Kreuzzugsunternehmens und damit zur Bannung Friedrichs II. Der Beichtvater der Heiligen Elisabeth, Konrad von Marburg, wird kurzerhand zum Dominikaner ernannt (S. 75) – das mag für einen Ketzerinquisitor nahe liegend erscheinen, widerspricht aber dem Forschungsstand.

Sind dies noch vergleichsweise Kleinigkeiten, so stellt sich zuweilen doch sehr ernsthaft die Frage, ob und wie Signori ihre Quellen überhaupt aufgearbeitet hat. Dem Rezensenten nahe liegend sind hierzu zwei Beispiele, es dürften (leider) nicht die einzigen sein: Auf S. 47 berichtet sie über die Hysterie, die sich im Abendland angesichts des Anrückens der Mongolen ausbreitete. "Der Ordensbruder Heinrich von Thüringen (Lebensdaten unbekannt) war davon überzeugt, dass der Tatarenkönig (…) Kinder verschlinge." Als Belegstelle ist die Chronik des Matthäus Paris angegeben, der in der Tat eine Reihe von Briefen über die Mongolen, darunter auch von Mendikanten, in seine Chronik eingefügt hat. Der zitierte Brief hat aber einen Absender, dessen Lebensdaten mitnichten unbekannt sind – er starb am 16. Februar 1247. Handelt es sich doch bei ihm um Heinrich Raspe, den thüringischen Landgrafen und späteren Gegenkönig. Und dieser Absender wird in der von Signori angegebenen Edition klipp und klar benannt: "N. Dei gratia Langravius Turringinis et Saxoniae comes Paletinus".

Wenig Vertrautheit beweist Signori ebenso mit universitätsgeschichtlichen Quellen, wie ihre Übersetzung und Kommentierung des Magistereides der Universität Paris (S. 88) beweist: Sie schreibt, diesen Eid hätte der Student "vor seinem Magisterstudium" ablegen müssen. Tatsächlich heißt es in der Quelle Isti sunt articuli quos tenentur jurare bacchelarii in artibus incepturi1, doch ist mit der inceptio nicht etwa der Antritt des Studiums, sondern immer der Beginn einer eigenen Lehrtätigkeit gemeint! Dass hier etwas nicht stimmen kann, geht dabei schon aus der inneren Logik der Quellenstelle selbst hervor, denn es sind ja Bakkalare, also bereits Graduierte, die schwören und die zudem versichern mussten, schon sechs Jahre lang die artes gehört zu haben. Vollkommen unsinnig ist auch Signoris Übersetzung, dass die Bakkalare beschwören mussten, ihren akademischen Grad in Paris "oder an einer anderen Universität (…), die mindestens zwölf Rektoren hat", erlangt zu haben. Ein Rektor ist bekanntlich der in der Regel semesterweise gewählte Vorsteher der universitären Korporation, es gibt ihn wie noch heute immer nur einmal. In der Quelle steht hingegen ubi ad minus sunt xij regentes – und das sind eben keine Rektoren, sondern magistri regentes, sprich: ordentlich lehrende Magister. Das einzige, was man aus solchen Verdrehungen (so man sie erkennt) lernen kann, ist, dass eben doch kein Weg daran vorbeiführt, sich auf die Quellensprache und ihre spezifischen termini technici sorgsam einzulassen.

Ob die Interpretation der Quellen immer allen Wünschen genügen kann, könnte dahingestellt bleiben, da es ja auch sonst durchaus im Belieben eines Dozenten liegt, eigene Schwerpunkte zu setzen. Zuweilen aber wünscht man sich doch etwas mehr Stringenz und Tiefe. Dem hoch spannenden Thema der Kinderkreuzzüge etwa widmet Signori 2 ½ Seiten (S. 39-42), notgedrungen nicht viel, aber einiges ließe sich da schon vermitteln. Anstatt nun aber mit prägnanten Quellenzitaten die wichtigsten Punkte zu beleuchten, verwendet sie lieber eine ganze Seite auf die Wiedergabe des Alberich-Berichts, den man auch anderswo bequem nachlesen kann. Kommentiert wird da gar nichts, inhaltlich bleiben ihre Ausführungen dünn, und dort, wo es spannend wird (S. 41 unten), bricht sie sofort wieder ab. Hier und auch an anderen Stellen – etwa in der Wiedergabe des Friedensvertrags zwischen Bischof und Stadt Straßburg nach der Schlacht bei Hausbergen, welcher völlig unkommentiert bleibt (S. 135) – wird die Quellennähe zur Farce.

Angesichts einer solchen Häufung von zum Teile gravierenden Mängeln ist "Das 13. Jahrhundert" als Lehr- und Einführungsbuch in seinem jetzigen Zustand zweifellos nur sehr bedingt geeignet. Immerhin aber besitzt es eine durchaus reizvolle Konzeption und ist an vielen Stellen verständlich und interessant geschrieben. Vielleicht kann es ja eines Tages, nach gründlicher Überarbeitung, seinem Anspruch doch noch gerecht werden.

Anmerkung:
1 Chartularium Universitatis Parisiensis, hrsg. v. Heinrich Denifle unter Mitarbeit v. Émile Châtelain, Bd. 1, Paris 1889, Nr. 501, S. 586f.